«Wir rechnen mit rund einer Million Zuschauern am Streckenrand»

Vom 21. bis 29. September findet die Rad- und Para-Cycling WM in Zürich statt. 66 Weltmeisterinnen und Weltmeister vom Nachwuchs über die Elite der Männer und Frauen bis hin zu den Parasportlerinnen und Parasportlern werden gekürt. Wir haben mit Olivier Senn, stellvertretender Gesamtprojektleiter und Leiter Sport über die WM und ihre Bedeutung für die Region Zürich und den Radsport in der Schweiz gesprochen. 

Olivier, lass uns zuerst über die Dimension der WM in Zürich sprechen, damit sich die Leute ein Bild machen können. Kannst du uns ein paar Eckdaten liefern?
Olivier Senn: An den insgesamt neun Renntagen werden 66 Medaillensätze vergeben. Es sind rund 1300 Athletinnen und Athleten aus 75 Ländern, die an der WM teilnehmen werden – darunter 250 Para-Sportlerinnen und -Sportler. Wir rechnen mit rund einer Million Zuschauern am Streckenrand. Knapp die Hälfte dürfte aus dem Ausland kommen, wobei Italien, Belgien, Holland und Frankreich traditionell die meisten Fans bringen. Wie viele Leute aus der Schweiz am Streckenrand stehen werden, hängt sicherlich auch vom Wetter ab. Damit wir den Event durchführen können, sind wir natürlich auch auf viele freiwillige Helferinnen und Helfer angewiesen. Rund 1800 sind es, die im September mitanpacken werden.

In welchen Bereichen?
In praktisch allen Bereichen der Veranstaltung. Das geht von der Streckensicherung, über den Auf- und Abbau der Infrastruktur, die Verpflegung bis hin zum Abholen der Gäste am Flughafen.

«In einer Stadt wie Zürich eine solche Veranstaltung zu organisieren, ist eine riesige Herausforderung.»

– Olivier Senn

Die Radsport WM wurde 2018 an Swiss Cycling vergeben. Wann hast du mit dem Rest des OK-Teams die Vorbereitungsarbeiten aufgenommen?
Im Dezember 2019 ging es für uns richtig los mit den Vorbereitungs- und Planungsarbeiten. Leider dauerte es wegen der Coronapandemie etwas länger als üblich, bis wir konkret mit der Umsetzung beginnen konnten. Das Kernteam des Lokalen Organisationskomitees wurde ab Ende 2021 fortlaufend rekrutiert und die Teilprojekte wie Infrastrukturen, Sport, Begleitmassnahmen oder Side Events an die Hand genommen. Im August 2023 konnten wir an der WM in Glasgow unsere WM erstmals präsentieren. Im November 2023 haben wir dann die Strecken sowie unsere Botschafterinnen und Botschafter offiziell vorgestellt. Das waren Meilensteine. Die WM wurde greifbar.

Die verkehrlichen Massnahmen haben zu Diskussionen geführt. War der Verkehr die grösste Herausforderung für euch als Organisatoren?
Ja, definitiv eine der grösseren. In einer Stadt wie Zürich eine solche Veranstaltung zu organisieren, ist eine riesige Herausforderung. Allein auf der Schlussrunde in der Stadt Zürich liegen 55’000 Arbeitsplätze und sieben Spitäler. Mit all diesen involvierten Parteien mussten wir eine Lösung finden. Das alles unter einen Hut zu bringen, war die grösste Challenge.

So viele Zuschauer, Volunteers und Teilnehmende – was bedeutet das punkto Hotelübernachtungen für die Region Zürich?
Das ist extrem schwierig zu sagen, da alle Zuschauerinnen und Zuschauer ihre Übernachtungen selbst organisieren. Wir haben rund 40’000 Übernachtungen reserviert für die teilnehmenden Delegationen und die Verantwortlichen des internationalen Radsportverbandes UCI.

Welche Wertschöpfung bringt die Rad WM für die Region Zürich?
Das haben wir im Vorfeld im Rahmen einer Studie berechnen lassen und das Ergebnis belief sich auf 35 bis 60 Millionen Franken. Wie viel es dann effektiv sein wird, werden wir im Nachhinein genau analysieren. Der grösste Mehrwert wird aber wohl vor allem darin liegen, dass Zürich mit dieser WM weltweit auf die Karte gebracht wird. Wir sprechen hier von rund 350 Millionen TV-Zuschauern, die Zürich und die Region zu sehen bekommen.

Was bedeutet die Austragung der WM in Zürich für die Schweizer Radsportszene?
Der Radsport bekommt sicher eine breitere Aufmerksamkeit. Aktuell haben wir keine Topstars, die täglich in den Medien zu sehen sind. Ein solcher Grossevent mit der breiten Medienberichterstattung und der grossen TV-Präsenz bringt den Radsport auf die Agenda. Wir hoffen, dass dadurch auch viele junge Leute motiviert werden, Velo zu fahren. Dafür müssen aber auch die Veloclubs in der Schweiz auf den Zug aufspringen und mit ihren Mitgliedern an die WM kommen.

Wie beurteilst du die aktuelle Entwicklung im Frauen Radsport – ist da der Durchbruch bereits geschafft?
Aus sportlicher Sicht würde ich sagen ja. Der Frauenradsport hat sich brutal entwickelt in den letzten Jahren. Die Frauen-Mannschaften, die an den grossen Rennen teilnehmen, sind auf Top Niveau und arbeiten professionell. Das Leistungsniveau ist enorm gestiegen. Noch ist das Gefälle innerhalb des Feldes etwas gross, aber es ist nur eine Frage der Zeit, bis genügend Frauen auf Topniveau sind. Man kann also getrost sagen, dass zumindest auf sportlichem Weg der Durchbruch geschafft ist.

Wo denn noch nicht?
In der Gesellschaft. Da wird der Frauenradsport leider noch immer überhaupt nicht ernst genommen. Die Sponsoren und die öffentliche Hand wollen Gleichberechtigung und Gleichstellung, aber sie sind nicht bereit, für die Frauenrennen auch nur annähernd dieselbe Unterstützung zu bieten wie für die Männer. Aktuell funktioniert nur die Tour de France der Frauen selbstständig. Alle anderen Frauenrennen werden durch die Männerrennen querfinanziert. Das kann langfristig nicht die Lösung sein. Da muss die Gesellschaft noch einen Schritt vorwärts machen.

Zurück zur WM in Zürich – weshalb soll ich als Zuschauer live vor Ort an den Rennen dabei sein?
An Radsportveranstaltungen herrscht immer eine extrem gute Stimmung. Die Radsportfans sind ein friedliches Volk, das gemeinsam ein Erlebnis und die damit verbundenen Emotionen teilt. Zudem kommt man als Zuschauer dem Radsport sehr nahe. Das ist faszinierend. Und wenn man ins Zielgelände auf dem Sechseläutenplatz in Zürich kommt, wird den Zuschauern viel geboten. Die Zieleinfahrten aller Rennen sind dort und es gibt ein Village mit Konzerten, Talks, Ausstellern und Verpflegung. Man kann sich also ohne weiteres einen ganzen Tag lang bestens unterhalten – es läuft immer etwas.

Worauf freust du dich am meisten?
Ich freue mich, wenn es endlich losgeht. Die Planungsphase wird je länger, je schwieriger, komplizierter und hektischer. Wenn es dann aber am 21. September los geht, ist das Schlimmste geschafft (lacht).

Infobox

Alle Informationen rund um die Rad- und Paracycling WM in Zürich, die vom 21. bis 29. September stattfindet, findest du hier.